Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung.
Befreit wurden tausende und abertausende Häftlinge in den Konzentrationslagern. Kinder, Frauen und Männer, die dem Tod oft näher waren, als dem Leben. Viele von ihnen überlebten die Tage und Wochen nach der Befreiung nicht, zu schwach und krank waren sie.
An sie alle, an die Toten und die Überlebenden müssen wir uns erinnern, damit sie nie vergessen sind. Niemand soll vergessen sein! Niemals!
Befreit wurden Menschen, die sich in den Jahren des Terrors versteckt hielten, in Kellern und auf Dachböden, sogar in Wäldern.
Befreit wurden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die unter schlechtesten Bedingungen schuften mussten für ein karges Mahl. Frauen, Männer und Kinder aus allen Ländern Europas.
Millionen konnten nicht mehr befreit werden. Millionen. Frauen. Kinder. Männer. Millionen. Millionen Einzelschicksale. Sie wurden erschlagen, vergast, zu Tode geschunden. Sie sind verhungert, wurden erschossen, sie nahmen sich das Leben, sie gingen zu Grunde an Elend und Krankheit.
Sie wurden verfolgt und ermordet wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, wegen ihrer politischen Einstellung und ihrer sexuellen Orientierung. Die Verfolgungsgründe waren sowohl gezielt also auch willkürlich. Letztlich konnte es jede und jeden treffen.

Das ganz Grauen, dass die Nazis über Europa brachten, die unfassbare Verachtung, mit der sie besonders in Osteuropa und der Sowjetunion wüteten, das wurde offenbar besonders in den Konzentrationslagern. Die Berichte der Befreier von Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau schienen so unglaublich, da offenbarte sich eine Dimension des Grauens, die selbst den Soldatinnen Soldaten der Befreiungsarmeen den Atem nahmen.
Wie aber hatte es dazu kommen können? Wie war es möglich, dass die sogenannte Kulturnation Deutschland so verkommen konnte zu einem Land von Mörderinnen und Mördern?
Auch um das zu begreifen, müssen wir uns erinnern.
Wir dürfen uns keine Illusionen machen. In der Bevölkerung gibt es auch heute – 2020 – einen großen Anteil von Menschen, die rassistisch, nationalistisch, antisemitisch, antiziganistisch, homophob und frauenfeindlich denken. Dummheit und Borniertheit lassen sich nicht verbieten. Radikale Fundamentalisten allerorten. Nicht nur in der AFD, auch in Religionsgemeinschaften, in Vereinen, in Burschenschaften, an Stammtischen.
Das, was jetzt geschieht, geschah ja seit 1945. Denn die Täterinnen und Täter tauchten unter, zogen sich die bürgerliche Weste an, nahmen wieder Platz in Amts- und Gerichtsstuben, in Gemeinde- und Stadträten. Sie setzten sich fest im Fundament dieser Demokratie.
Sie bildeten Generationen von Juristinnen und Juristen aus, von Lehrerinnen und Lehrern, von Soldaten und Polizisten. Sie waren immer noch da, sie waren, sie sind überall. Viel zu wenige wurden verurteilt. Viel zu wenige wurden bestraft.
Und man wollte vergessen. Die eigenen Taten. Dazu musste man die Opfer vergessen oder leugnen.
Und so kam es, dass zum Beispiel überlebende Sinti zurückkamen in das, was sie mal Heimat genannt hatten und in den Amtsstuben den gleichen Männern gegenübersaßen, die sie eingewiesen hatten in die Lager, die die Sterilisation ihrer Frauen angeordnet hatten, die sie beraubt hatten.
Die gleichen Männer entschieden nun mit den gleichen Argumenten darüber, ob sie wohlgelitten sind im befreiten Land. Sie begegneten den gleichen Vorurteilen, dem gleichen Rassismus.


Um den Rassismus und den Hass heute zu begreifen, müssen wir erinnern.
Der 8. Mai 1945 wurde Deutschland vom Faschismus befreit. Aber Nazis gibt es noch immer.