Simone Barrientos

KÜNSTLERIN AKTIVISTIN FEMINISTIN . KULTURLOBBYISTIN.

„Den Häusern denen, die drin lesen“

„Kisch & Co.: Macht Platz für unsere Berlin-Vision: Eine Sauftouristen-Kommerz-Attraktion.“

So singt die Band Stereo Total, begleitet vom Oberkreuzberger Nasenflötenorchester. Zusammen hatten sie ein ironisches Werbevideo für die Immobilienhaie aufgenommen, die den legendären Buchladen Kisch & Co. gekauft hatten.

Genützt hat es nichts: Kisch & Co. müssen raus, es darf geräumt werden. So urteilte das Berliner Verwaltungsgericht und gab damit der Räumungsklage des Eigentümers des Hauses in der Oranienstraße 25 statt. Geklagt hatte der Investmentfonds Victoria Immo Properties, der aus einem Geflecht luxemburgischer Briefkastenfirmen besteht. Wahrscheinlich verbergen sich dahinter die Tetrapak-Erb:innen der schwedischen Familie Rausing. Die Dynastie, die sich gerne philanthropisch gibt, hatte das Gebäude 2019 für mehr als 35 Millionen Euro gekauft. Und auch wenn sie sich als Förderin von Kunst und Kultur gibt, zählt am Ende nur der Profit.

Vor dem Aus steht damit nicht nur der seit den 1990ern bestehende Buchladen, sondern auch weitere Galerien und Museen, die in dem Haus untergebracht sind – zuvor hatte dort der 1971 gegründete linke Verlag Elefantenpress seine Räumlichkeiten. Denn auch beim Museum der Dinge und der Galerie nGbK – ein basisdemokratischer linker Kunstverein, der 1969 gegründet wurde – laufen die Mietverträge aus. Dem über Jahrzehnte gewachsenen Kulturstandort Oranienstraße 25 droht das Aus.

Und in Kreuzberg, genauer, dem widerständigen Berlin SO36 – so benannt nach dem Postzustellbezirk – zwischen dem ehemaligen Luisenstädtischen Kanal und dem Landwehrkanal, geht wieder einmal Geschichte flöten. Auch meine eigene.

2008 gründete ich den Verlag Kulturmaschinen. Der erste Buchladen, der meine Bücher in seine Regale stellte, war Kisch & Co. Für meinen jungen unabhängigen linken Verlag war das wie ein Ritterschlag. Lesungen (Degenhardt) vor Ort folgten, Begegnungen auf der Leipziger Buchmesse, weinselige Abende genauso, wie Diskussionen und Kämpfe um den Erhalt der Verlagsvielfalt gegen Amazon und Konsorten. Und hier schließt sich der Kreis. Die Verdrängung eines Buchladens hat Folgen für den Kiez, aber auch für die Verlagslandschaft, für die Leserschaft, für die Vielfalt, für die Gesellschaft.

Was steckt dahinter?

Ich schaue gerade die Serie „The Deuce“. Sie erzählt vom Aufstieg der Pornoindustrie im New York der 1970er Jahre. Vordergründig. Eigentlich geht es nämlich auch darum, wie das Gebiet um den Times Square einmal von Sexarbeiter:innen und Queers, von Bohemians und Künstler:innen – von allen gesellschaftlichen Milieus auch – bevölkert wurde. Und wie diese dann im Zuge der Gentrifizierung brutal vertrieben wurden. Im hypergentrifizierten Downtown New York kostet die Miete für eine Einzimmerwohnung heute ca. 3.000 Euro monatlich.

Klar, Berlin ist nicht New York, allein aufgrund der deutschen Teilung ist die Stadtgeschichte der Bundeshauptstadt unvergleichlich. Aber es ist doch immer wieder dasselbe Spiel: Der vormals grenznächste Zipfel Westberlins, nämlich das sogenannte Kreuzberg 36 rund um Kotti, SO36 und Co., galt bis zur Wiedervereinigung als gefährliches Pflaster. Schließlich, so fürchtete man, lag das Grenzgebiet in der Schusslinie für Grenztruppen. Dort siedelten sich dann Migrant:innen oder eben Kreative an, viele Sozialwohnungen wurden gebaut. Nach den Studierendenprotesten 1968 wurde der Kiez zunehmend Zentrum der Alternativ- und Hausbesetzer:innenszene. Inzwischen ist das Wohnen dort für die meisten nicht mehr bezahlbar. Laut der Initiative Kotti & Co hatte jede zweite Familie am südlichen Kottbusser Tor nach Abzug der Miete noch 200 Euro pro Person zum Leben.

Und nicht nur Kisch & Co. ist bedroht: Clubs und andere Kultureinrichtungen kämpfen, auch wegen der Corona-Krise, ums Überleben. Damit verstärkt sich, nicht nur in Berlin, eine ohnehin bestehende Entwicklung.

Erst sind städtische Gegenden gefährlich und werden gemieden, dann werten Künstler:innen und andere, die sich die Miete nirgendwo anders leisten können, sie auf, und wenn diese dann „hip“ genug sind, werden sie aus den Kiezen vertrieben. „Die ziehen dir […] dein ganzes Viertel unterm Arsch weg. Machen sich alles schön“, schreibt Leander Sukov in seinem Roman „Warten auf Ahab“ zum Thema Gentrifizierung. „Die scheißen auf Proleten und Kleinbürger.“ Der Markt interessiert sich am Ende einen Scheiß für Kunst und Kultur.

Was können wir linkspolitisch dagegen tun?

  • Wir brauchen ein Gewerbemietrecht mit regulierten Mieten, so etwa durch das Instrument einer Gewerbemietpreisbremse, und Kündigungsschutz. Denn anders als bei Wohnmietverhältnissen können sich Mieten hier auch mal verdreifachen oder kurzfristig und ohne triftigen Grund gekündigt werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Linksfraktion in den Bundestag eingebracht.
  • In besonders ausgewiesenen Kulturschutzgebieten muss der Bestand von Clubs und Kultureinrichtungen gesichert werden. In denen sollten beispielsweise auch die Lärmschutzstandards nicht so gelten wie in Wohnanlagen.
  • Wir müssen weiterkämpfen! „Die Kiezbuchhandlung gegen die Milliardäre“ heißt eine Petition auf change.org. Auch die Initiative Bizim Kiez hat weitere Protestaktionen angekündigt.

„Den Häusern denen, die drin lesen“, heißt es in einer Soli-Plakatkampagne des Comic-Zeichners Mawil (Titelbild). Lasst uns weiter kämpfen für lebenswerte Städte, bezahlbare Mieten und eine Kultur für alle. Lasst uns weiter kämpfen für lebenswerte Städte, bezahlbare Mieten und eine Kultur für alle.

© Mawil. Vielen Dank für das Recht zur Verwendung!

Der Artikel erschien zuerst am 12. Mai 2021 in der Reihe »meinungsstark« der freiheitsliebe. Link zur Erstveröffentlichung.

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