Kulturförderung muss sozialgerecht, divers, nachhaltig und fair sein. Ein Interview mit Dr. Henning Mohr von der Kulturpolitischen Gesellschaft (KuPoGe).

„KuMi: Wie nehmen Sie die kulturpolitische Situation auf der Bundesebene im Kontext der Corona-Krise wahr?

Barrientos: Ich erinnere mich noch gut an eine Debatte 2018, die mich wirklich erschüttert hat. Damals forderte meine Fraktion, dass Soloselbstständige allgemein, aber eben auch Künstler* innen besser abgesichert werden müssen. Die Debatte zeigte mir, dass die meisten Abgeordneten aus dem Ressort Arbeit und Soziales überhaupt keine Vorstellung davon hatten, wie es sehr vielen Kulturmacher* innen geht, wie hart am Wind sie segeln. Ich selbst kam ja aus der Branche in den Bundestag. Ich war Verlegerin und als Künstlerin auf Bühnen unterwegs. Ich wusste also sehr gut, wie man sich von Monat zu Monat hangelt. Und klar, dass gerade Künstler* innen eher Kunst machen, als zu jammern, hat auch damit zu tun, dass sie ihre Arbeit einfach leidenschaftlich gern machen, dass sie ihnen mehr Berufung als Beruf ist. Der Preis für die Selbstverwirklichung ist aber die Selbstausbeutung. Das darf aber natürlich nicht dazu führen, dass Kulturförderung so gestaltet ist, dass sie die Selbstausbeutung nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern sogar voraussetzt und befördert. Aber kommen wir zu den Kultur-Debatten im Corona-Kontext. Es wurde erstaunlich viel über Kultur gesprochen, über die Systemrelevanz von Kultur. Es gibt mehr Sensibilität dafür, dass die ökonomischen Probleme der Kulturmacher* innen auf strukturelle Schiefl agen der Förderpolitik zurückzuführen sind, dass die Probleme also systemimmanent sind. Die Erkenntnis ist zumindest bei Kulturpolitiker* innen da, allerdings wird die Notlage von der Mehrheit im Parlament nur auf die Pandemie zurückgeführt. So droht die Gefahr, dass es nur temporäre Lösungen gibt. Natürlich ist es richtig und wichtig, dass der Kulturbereich ohne größere Schäden durch die Krise kommt. Da ist schnelles, unkonventionelles Handeln gefragt: In Frankreich bekommen gerade alle 18-Jährigen einen Kulturgutschein in Höhe von 300 Euro. Warum können wir so etwas nicht mal in Deutschland machen? Davon profi tieren die Kulturmacher* innen und es sorgt für kulturelle Teilhabe gerade in armen Familien.“

Kulturpolitische Mitteilungen, III/2021, online auf kupoge.de