Die Coronakrise erschüttert die Kulturbranche im Fundament. Das strahlt weit in die Gesellschaft aus. Was aus der Situation für den Kulturbereich zu lernen ist, debattierte die Bundestagsfraktion Die Linke auf meine Initiative hin mit Gästen. „Kultur. Klasse. Krise“ war die gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 9. März überschrieben.
„Die These und Fragestellungen der Veranstalterinnen: Mit Corona drohe der Verlust kultureller Vielfalt und Infrastruktur und unzähliger beruflicher Existenzen vor allem von Soloselbständigen und Freiberufler*innen. „Kultur für alle“ brauche zwingend „Kultur von allen“. Wie können linke Strategien und Maßnahmen aussehen, um Kulturschaffende besser sozial zu sichern? Wie soll Kulturarbeit im Jahr 2030 aussehen?
Einigkeit bestand bei allen Redner*innen, dass die Corona-Pandemie in der Kulturbranche strukturelle Probleme zugespitzt habe, die schon zuvor bestanden. Daniela Trachowsky von der Rosa-Luxemburg-Stiftung diagnostizierte die Gefahr einer „vierfachen Verödung“, die Künstler*innen und Kulturschaffende selbst, aber auch Städte und Kommunen, die menschlichen Individuen sowie die Gesellschaft als soziales Miteinander betreffen. Simone Barrientos, kulturpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, spitzte es auf die Frage zu: „Wer kann sich künftig noch Kultur leisten – auch im Sinne von Kultur machen?“ Sie sah allerdings durch wachsendes Problembewusstsein für den „demokratierelevanten“ Kulturbereich akut auch „Fenster aufgetan“.
Ungleichgewichte weiter verstärkt
Berlins Kultursenator Klaus Lederer sprach in seinem Statement von „permanentem Krisenmodus“, seit im März 2020 die Säle geschlossen wurden. Doch sei der Kulturbetrieb hinsichtlich möglicher Teilhabe „schon vorher problematisch“ gewesen. Er „lässt Leute rein und schließt Leute aus“. Diese Ungleichgewichte würden jetzt nur verstärkt. Lederer kritisierte, dass Künstler*innen zur existenziellen Absicherung oft nur auf Grundsicherung mit Hartz IV verwiesen seien. Doch glaube er auch momentan nicht an eine schnelle generelle Öffnung und kündigte zusätzliche 55 Millionen Euro aus dem Berliner Landeshaushalt für Kulturförderung an, um Betroffenen „über den Sommer hinweg zu helfen“.
Mit dem Selbstverständnis einer „kreativen Klasse“ setzte sich Lisa Basten auseinander. Sie sah den Begriff „nicht unproblematisch“ und eine „politische Handlungsfähigkeit nicht gegeben“. Tatsächlich erfasse die Kultur- und Kreativwirtschaft in ihren wirtschaftlichen Potenzen etwa 1,8 Millionen Erwerbstätige, die Umsätze von 170 Mrd. Euro jährlich erzielten. Doch umfasse sie sehr viele unterschiedliche Branchen von der bildenden und darstellenden Kunst bis zum Werbemarkt und der Gamesindustrie. Nicht alles und alle darin seien „kreativ“.
Doch wenn es um die Verbesserung der sozialen Lage der Beschäftigten gehe, stünden nicht unbedeutende Gruppen und Stellschrauben im Vordergrund: So etwa elf Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland, die von branchenspezifischen Mindesthonoraren profitieren könnten; von einer Anpassung der Regelungen der Künstlersozialkasse an die Realitäten der Arbeitswelt wären 190 000 Personen betroffen, 140 000 fielen unter die Geltung Gemeinsamer Vergütungsregeln. Gemeinsamkeiten sah Lisa Basten hinsichtlich der Stellung am Arbeitsmarkt, der Wirkung sozialer Sicherungssysteme und der Interessenvertretung. „Momentan sind die Kreativen nicht gut organisiert und haben wenig Macht.“ Dafür gebe es vorrangig strukturelle Gründe. Doch sehe sie auch Anzeichen dafür, dass sich „gerade einiges ändert“, so die Gewerkschaftssekretärin.
Verantwortliche „mit Arsch in der Hose“?
Im anschließenden Pannel 2 trafen Lisa Basten und Schauspielerin Lisa Jopt, gdba-Präsidentschaftskandidatin und Mitgründerin von ensemble-netzwerk e.V., zusammen. Ihr sei das „eigene Beschäftigungsverhältnis“ als auf Produktionsdauer Angestellte noch nie so bewusst gewesen, weil unter Corona Vorstellungen gestoppt, Verträge einseitig verändert oder Gagen gekürzt worden seien, erklärte Jopt. Wie unterschiedlich die soziale Absicherung im Kulturbereich selbst innerhalb von Branchen sein könne, erklärte sie am Beispiel festangestellter oder freier Dramaturg*innen am Theater. Sie sah ihre Gewerkschaft bei Tarifverhandlungen „erpresst“, weil Theaterschließungen nicht nur als Drohkulisse im Raum stünden. Hinderlich sei auch, dass etwa im Theaterbereich bei künstlerischem und nichtkünstlerischem Personal drei verschiedene Tarifverträge gelten. Für das notwendige Krisenmanagement wünschte sie sich „informierte Kulturpolitiker*innen“ und „Theaterleitende mit Arsch in der Hose“.
Auf das „Spannungsverhältnis“ als Einzelkämpfer*innen in Konkurrenzsituation und die Gemeinsamkeiten von Kreativen ging Lisa Basten genauer ein. Seit Corona werde mehr über diese Fragen nachgedacht, die Erkenntnis wachse, „dass eine solidarische Antwort richtig ist“. In puncto Individualität sei etwas verändert und „Selbstorganisation angestoßen“. Die Frage nach der potenziellen Wirkmächtigkeit von Organisation impliziere die nach einer Hol- oder Bringschuld von Gewerkschaft. Für ver.di sah Basten einerseits eine Bringschuld, betonte aber andererseits den Charakter einer Mitgliederorganisation, die sich quasi durch Mitgliederwillen und -aktivität legitimiere.
Sie verwies auf die Hybridität der modernen künstlerischen Arbeitswelt und entsprechender Beschäftigungsverhältnisse. So arbeiteten etwa 67 Prozent aller freien Musiker*innen parallel auch im schulischen Bereich. Es sei nötig, zunehmend „berufsübergreifende“ Aktionen und Durchsetzungsfähigkeit zu entwickeln.
Eine Lanze für „Aufenthaltsqualität während der Interessenarbeit“ brach Lisa Jopt. Sie wünsche sich eine spezifischere Ansprache ohne den „Impetus gewerkschaftlicher Fachbegriffe“ und ideenreiche Aktionen. Interessenvertretung dürfe auch Spaß machen.
„Klassismus“ als Hürde
Einen interessanten dritten Schwerpunkt der Veranstaltung bildet die Frage, wie sich Hierarchien und Ausgrenzungsmechanismen im Kulturbetrieb zugunsten von mehr Diversität überwinden lassen. Nenad Čupić, Mitgründer und Leiter von NeuN Consulting, verwendete dazu den noch wenig geläufigen Begriff des „Klassismus“. Er beschreibe Diskriminierung aufgrund sozioökonomischer Herkunft und Stellung in der Gesellschaft, die mit Benachteiligungen zum Vorteil der Herrschenden einhergehe. In Kultur und Kunst machte Čupić Klassismus hinsichtlich der Protagonisten, des Publikums und der Programmgestaltung aus. In der Debatte wurde darauf hingewiesen, dass der Kulturbereich bislang bestenfalls unter Rassismus- oder Sexismusvorwürfen reflektiert worden sei, nicht unter dem Gesichtspunkt, „Klassenschranken einreißen zu müssen“. Obwohl gefühlt vorhanden, brauche Ausgrenzung unter sozioökonomischen Gesichtspunkten noch mehr Datenbasis und Forschung. Zügiger umsetzbar sei dagegen, Kulturförderung auch an die Einhaltung sozialer und Antidiskriminierungsstandards zu koppeln.
Die digitale Veranstaltung, an der fast 150 Interessent*innen teilnahmen, die allerdings nur über die Chatfunktion Meinungen und Fragen einbringen konnten, „schreit nach Fortsetzung, möglichst analog“. Dieses Fazit zog Petra Sitte, stellv. Linken-Fraktionsvorsitzende, die dem dortigen Arbeitskreis Innovation, Bildung, Wissenschaft, Kultur und Medien vorsteht und die Debatte wesentlich initiiert hatte.“
24.03.2021, online nachzulesen auf verdi.de