Vor 100 Jahren, am 13. Januar 1920, demonstrierten etwa 100.000 Berliner Arbeiter*innen und Angestellte direkt vor dem Reichstag gegen das Betriebsrätegesetz, das am gleichen Tag dort beraten wurde. Dieses Gesetz schrieb nur einige wenige innerbetriebliche Mitspracherechte für die Betriebsräte fest und zog den Zorn vieler auf sich. Der Protest dagegen und gegen die SPD-geführte Reichsregierung endete auf tragische Weise: 42 Tote und über 100 Verletzte fielen den Schüssen der Sicherheitspolizei zum Opfer.

Der Aufsatz des Historikers Axel Weipert lässt mich fassungslos zurück. Ich stelle mir vor, im Plenum des Bundestags zu sitzen, während draußen die Polizei mit Maschinengewehr auf flüchtende Demonstrierende schießt. In den Jahren 1919/1920 wurden (so der Historiker Karl Heinz Roth unlängst in einem Interview mit ZEITGeschichte in Deutschland) etwa 5.000 Menschen ermordet.

Ich frage mich: Kann man in diesem Kontext eigentlich von einer Sozialdemokratischen Gewaltherrschaft“ sprechen?
Ende letzten Jahres brachte die SPD, gemeinsam mit der CDU, einen Antrag für ein Denkmal für die Opfer der „Kommunistischen Gewaltherrschaft“ in Deutschland ein. In meiner Rede zu dem Antrag machte ich deutlich, wie wichtig ich ein Gedenken finde, dass Geschichte als Ganzes annimmt. Doch staatliches Gedenken ist immer auch Machtpolitik. An welche Opfer erinnert wird, ist eine Frage der politischen Mehrheitsverhältnisse.
In diesem Zuge verwundert es nicht, dass die Opfer aus den Jahren 1919/1920 unbeachtet bleiben. Und die SPD diesen 100. Jahrestag lieber unter den Tisch fallen lässt. #Doppelmoral

Fakt ist: Dass viele Menschen, die diesen Tag erlebt und überlebt haben, dreizehn Jahre später die Demokratie nicht verteidigt haben, wundert nicht.