Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesvertriebenengesetz ist ein Relikt des Kalten Krieges. Es ist ein Relikt der alten Bundesrepublik.
Der Diskurs um Flucht und Vertreibung nach 1945 wurde dominiert – er wird es zum Teil immer noch – von revisionistischen Kräften wie Erika Steinbach, die hier gerade gelobt wurde. Dass sich dieser Diskurs ändert, ist gut, aber auch überfällig; denn dass hierzulande so viele Menschen nicht mehr wissen, mit welcher Brutalität und Verachtung die deutsche Wehrmacht, die SS- und die Polizeibataillone in Richtung Osten marschierten, mordend in einem unvorstellbaren Ausmaß,
(Enrico Komning [AfD]: Es geht um Vertreibung der Deutschen!)
das ist auch die Folge einer lückenhaften Erinnerungskultur.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist kein Lapsus, wenn, wie im Januar 2020 geschehen, ausgerechnet „Der Spiegel“ schreibt, die „amerikanische Armee“ hätte Auschwitz befreit. Nein, das ist eine Folge davon, dass der Kalte Krieg noch immer mitwabert im Erinnern.
Flucht und Vertreibung waren die Folge des deutschen Vernichtungskriegs. Den mordenden Soldaten folgten Kriegsgewinnler und Profiteure, Industrielle und Fabrikanten, Protektoren und KZ-Aufseher. Unter dem Motto „Blut und Boden“ richteten sie sich ein in den eroberten Gebieten, bis man sie davonjagte.
Und ja, auch Alteingesessene verjagte man. Auch die waren nicht frei von Schuld. Dass ihre Geschichten auch tragisch waren,
(Sepp Müller [CDU/CSU]: Dass wir uns im Hohen Haus so was anhören müssen! – Enrico Komning [AfD]: Es ist unerträglich! Fragen Sie mal die vergewaltigten Frauen!)
dass die persönlichen Schicksale Beachtung verdienen, will ich nicht bestreiten. Meine Großmutter floh mit ihren Töchtern. Meine Mutter war drei Jahre alt, ihre Schwester ein Jahr alt. Geboren wurden sie in einem Lebensborn-Heim, auch das übrigens eine Erinnerungslücke in diesem Hause.
(Zuruf von der AfD: Mann, Mann, Mann!)
Meine Großmutter mag sich nicht schuldig gemacht haben, aber sie wusste, dass sie nicht frei von Schuld war; denn sie hat hingenommen und weggesehen.
Dass der Bundestag die von uns beantragte Feierstunde zum Überfall auf die Sowjetunion, der sich in dieser Woche zum 80. Mal jährt, abgelehnt hat, wir aber heute über Flucht und Vertreibung nach 1945 reden, finde ich peinlich. Es spricht Bände.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der AfD: Das ist gar nicht peinlich!)
Damit wir uns hier nicht missverstehen: Eine solche Feierstunde wäre ein nötiges Zeichen des Respekts gewesen – nicht gegenüber den heutigen Regierungen der zerfallenen Sowjetunion. Nein, es wäre ein nötiges Zeichen des Respekts gewesen gegenüber den Bevölkerungen der ehemaligen Sowjetunion, ein Zeichen des Respekts gegenüber der multiethnischen Sowjetarmee. Es wäre eine Geste des Respekts gewesen an die Ermordeten und ihre Nachkommen, an die Verachteten, an die Gequälten, an die Geschundenen, an die Verhungerten, an all die, die man auslöschen wollte.
Noch einmal zur Klarstellung: Das Vernichtungslager Auschwitz wurde am 27. Januar 1945 durch die Sowjetarmee befreit, und zwar von den Soldaten der 322. Infanteriedivision der 60. Armee der I. Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Alexejewitsch Kurotschkin . – Niemals sollen sie vergessen sein!
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Sepp Müller [CDU/CSU]: Ganz schwach! – Gegenruf von der LINKEN: Nee! Gar nicht!)