Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Gedenkstunde ist vorbei, und wir gehen zur Tagesordnung über – nicht alle, Gott sei Dank, dafür bin ich wirklich dankbar. Ich selbst schaffe es nämlich nicht. Mir sitzt die Gedenkstunde noch in den Knochen. Da es so ist, kann ich nicht anders, als zu sagen, dass wir ohne Kultur, und zwar ohne Kultur in ihrer Vielfalt, in ihrer Buntheit an allen Orten, in Schulen und Theatern, auf den Straßen und in den Klubs, in der Stadt und im ländlichen Raum, Gefahr laufen, unsere Kultur zu verlieren,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

weil Kultur nur unsere Kultur ist, wenn sie Humanismus und Offenheit beinhaltet. Kultur rettet man nicht, indem man sie in einen nationalen Käfig sperrt. Damit zerstört man Kultur.

Ich sagte schon, mir steckt die Gedenkstunde noch in den Knochen. Ich erlaube mir, ein Gedicht von Leander Sukov „Zur Befreiung Auschwitz’ durch die Rote Armee“ zu lesen:

„Und Tana Berghausen ward erschlagen vor den Augen auch ihrer Eltern im Viehwaggon in Auschwitz-Birkenau. Da war sie ein Jahr alt. Ruben Baer aber erstickte, als sich die Blausäure des Zyklon-B in sein Blut legte. Da war er fünf Jahre alt.“

„Und Alma Rosé strich über die Saiten ihrer Violine im Mädchenorchester von Auschwitz, wie eine streicht voll Angst über das Antlitz ihrer Peiniger. Ruth Rewald aber mag gesprochen haben zu Janko, dem Jungen aus Mexico, als das Gift aus der Dessauer Zuckerfabrik ihr den Atem nahm.“

„Und Sidonie Adlersburg mag geschrien haben nach ihren beiden Müttern und dem Vater, als sie ins Gas ging in Auschwitz. Da war sie zehn Jahre alt.“

„Und die vierzig Kinder aus der Sankt Josephpflege missbraucht schon im Heim aus allen Heimen in die Wolken gestiegen in Auschwitz bis auf vier. Sie hinterließen ein Foto und Rauch.“

„Und Anne Frank hinterließ ein Tagebuch, und sie starb nur Tage, bevor befreit wurde das Lager Bergen-Belsen Hanna Brady aber ließ einen Koffer zurück bei den Lebenden, als die Mörder sie ins Gas stießen. Da war sie dreizehn.“

„Und mit ihnen sechs Millionen und mit sechs Millionen fünfzig Millionen vom Hafen des Lebens in das Meer des Todes.“

„Ach, Esther Bejarano sing uns die Lieder. Ach, Hugo Höllenreiner schreib auf  das Grauen.  Ach, Soldaten der 322. Infanteriedivision der I. Ukrainischen Front Euch danken Siebentausendzweihundert und wir, denen Zahl mehr ist als Nummer.“

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)