„Kultur ins Grundgesetz“ fordert eine Initiative von Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeitern in einer Petition, die schon über 7.000 Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden hat. Hinter diesem kurzen und bündigen Slogan stecken ganz konkrete Forderungen: „Wir sind […] der Überzeugung, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur als ein kollektives gesellschaftliches Interesse grundrechtlich geschützt werden muss.” Das Timing könnte nicht besser sein.
Was bedeutet das?
Zum Hintergrund: Von einer „Kulturaufgabe” des Bundes ist im Grundgesetz nirgends die Rede, die „Kulturhoheit” liegt, so heißt es häufig, eindeutig bei den Ländern. Doch ganz so einfach ist es nicht: Der deutsche Einigungsvertrag enthält Regelungen über die besondere Verantwortung des Bundes zur „gesamtstaatlichen Repräsentation” und zur Kultur in den neuen Bundesländern, also etwa für Kulturprojekte von nationaler Bedeutung. Diese gemeinsame Kulturförderung von Bund und Ländern wird auch in der Begründung für die Föderalismusreform 2006 bekräftigt.
In diesem Kontext – und vor dem Hintergrund klammer Kassen bei Ländern und Kommunen – gibt der Bund immer mehr Geld für die Kultur aus. Schon 2018 betrug der Anteil des Bundes an den Kulturausgaben 14,8 Prozent, Tendenz steigend. Und das ist prinzipiell gut so: Ohne die Bundeskulturförderung gäbe es zum Beispiel keine Deutsche Welle und keine Kulturstiftung des Bundes, keinen Deutschen Kurzfilmpreis und keine Tanzplattform Deutschland.
Umso merkwürdiger ist es, dass die Bundeskulturförderung rechtlich auf eher wackeligen Füßen steht. Während der Bund über zwei Milliarden Euro jährlich für Kulturprojekte ausgibt, ist unklar, nach welchen Kriterien das geschieht: Welche Projekte sind warum von „nationaler Bedeutung” und qualifizieren sich damit für eine Bundesförderung? Warum gehört dazu die Garnisonskirche in Potsdam, und wer ist für das Einheitsdenkmal in Berlin zuständig? Transparenz? Fehlanzeige!
Ein aktuelles Beispiel ist das Humboldt Forum, bei dem auf die Prämisse, ein preußisches Schloss wiederaufzubauen, die Überlegung folgte, wie der Bau eigentlich eine nationale Bedeutung erlangen könnte. „Statt »form follows function« wurde das ganze Projekt von hinten aufgezäumt: zuerst die Idee eines neuen Stadtschlosses, danach die Suche nach einer öffentlichen Funktion für den Superbau”, kommentierte Sophie Schönberger treffend im Merkur. Das Ergebnis: Mindestens 677 Millionen Euro gab der Bund für ein Nicht-Museum aus, in dem nun koloniales Raubgut ausgestellt wird.
Die juristische Grundlage der Bundeskulturpolitik klarer zu regeln, fordern daher führende Einrichtungen in Legislative und darüber hinaus schon sehr lange. So verlangte der Bundesrechnungshof 2007: „Soll der Bund mit der Förderung von Kunst, Kultur und Sport ausnahmsweise weitere gesamtstaatliche Aufgaben außerhalb der Hauptstadt wahrnehmen, so sollte dies im Grundgesetz […] klargestellt werden.” Zu einem ähnlichen Schluss kam die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ (2003–2007), die ebenfalls eine Verankerung der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz forderte.
Allein die rechtliche Legitimation des praktizierten (föderalen) Kooperationsgebots im Bereich der Kultur wäre also schon ein guter Grund, ein Staatsziel Kultur endlich im Grundgesetz zu verankern. Und die Linke und ihre kulturpolitischen Vertreterinnen und Vertretern, wie beispielsweise die Ständige Kulturpolitische Konferenz, werden nicht müde, genau das zu verlangen. Als einzige Partei fordert die Linke in ihrem Parteiprogramm eine Staatszielbestimmung von Kultur im Grundgesetz – und das seit vielen Jahren.
Warum ist das gerade jetzt notwendig?
Leider ist genau das aber bis heute nicht geschehen, Bekenntnisse der Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern insbesondere der Regierungsparteien waren nichts als heiße Luft. Die Linksfraktion im Bundestag ist zuletzt mit einem Antrag 2018 damit gescheitert. Aber wir kämpfen weiter – denn gerade aus linker Perspektive hat die Corona-Krise gezeigt, dass wir spätestens jetzt einen Richtungswechsel brauchen!
Waren die Kassen der Kommunen schon vor Corona klamm, treffen die Steuerausfälle sie im Zuge der Pandemie nun mit voller Wucht. Und da die Kultur auf kommunaler Ebene bloß eine freiwillige Pflichtaufgabe ist, wird hier als erstes gestrichen. Gesehen haben wir das in Bamberg, wo bereits eine Kürzung des Kulturetats um 25 Prozent beschlossen wurde.
Die öffentliche Kulturförderung steht in dieser Situation unter einem hohen Legitimationsdruck. Wir müssen uns jetzt zur Kultur bekennen – sonst wird es nach dieser Krise einen Kulturverlust geben, der kaum wiedergutzumachen ist.
Handlungsspielraum auf Bundesebene erweitern
Der Kultur- und Kreativsektor steht ohne eigenes Verschulden mit dem Rücken zur Wand. Den von der Krise am schwersten betroffenen Sektoren bricht wohl deutlich mehr als die Hälfte der Umsätze in diesem Jahr weg (darstellende Künste –75 Prozent, Film
–72 Prozent, Bildende Kunst –64 Prozent und Musik –59 Prozent). Für die Veranstaltungswirtschaft ist inzwischen die Rede von 90 Prozent Umsatzeinbußen 2020.
Vor dem Hintergrund dieser beispiellosen Krise wird viel zu wenig für Kulturarbeiterinnen, Kulturarbeiter und -institutionen getan. Bei dem NEUSTART KULTUR-Programm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), fehlten allein bei den bis Ende Oktober gemeldeten Antragszahlen mindestens 112 Millionen Euro. Noch schlimmer: Nach über einem halben Jahr ist überhaupt erst die Hälfte der Kultur-Milliarde bei den Verbänden angekommen.
Fairerweise ist die Schuld daran nicht allein bei Monika Grütters zu suchen: Deutlich wird in dieser Krise vielmehr, dass es der BKM an notwendigem Handlungsspielraum fehlt und sie von der Mammutaufgabe der Rettung des Kultur- und Kreativsektors strukturell überfordert ist. Klar ist daher: Eng verbunden mit der Forderung eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz ist die Forderung nach einem eigenständigen Ministerium für Kultur und Medien.
Als linke Kulturpolitikerin nehme ich den Kultur-, Kreativ- und Veranstaltungssektor in Gänze und aus einer sozialen Perspektive in den Blick. Wollen wir hier sozialer Ungleichheit, Prekarisierung und (Selbst-)Ausbeutung entgegenwirken, brauchen wir einen programmatischen Wurf. Und dazu gehört ein klares Bekenntnis zur Relevanz von Kultur ebenso, wie die Realität der Bundeskulturförderung endlich anzuerkennen und sie in eine transparente Struktur zu überführen. Nicht zuletzt Länder und Kommunen würden damit an Planungssicherheit gewinnen. Ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz brauchen wir eher gestern als heute.
Der Artikel erschien zuerst am 27. Dezember 2020 in der Reihe »meinungsstark« der freiheitsliebe. Link zur Erstveröffentlichung.