Hallo, ich bin Ana. Ich bin für drei Wochen als Praktikantin bei Simone Barrientos im Deutschen Bundestag. Simone Barrientos gehört seit 2014 dem Landesvorstand Bayern der Linken an, sie ist Bundestagsabgeordnete und kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion und Obfrau im Ausschuss für Kultur und Medien.

Wieso bist du Abgeordnete geworden?

Die langen Flure im Jakob-Kaiser-Haus

Weil ich etwas verändern will und die Welt besser machen will. Und weil ich meine Fähigkeiten gern hier einbringen wollte – für meine Partei aber auch für die Kultur, für die Menschen, gegen Rassismus.

Was genau machst du als Abgeordnete im Ausschuss für Kultur und Medien?

Was genau ich da mache, kann man so einfach gar nicht sagen, weil wir ja so eine riesige Palette an Themen haben. Großes Anliegen ist mir erstens, dass wir Erinnerungskultur ganz nach vorne stellen, weil es gibt so viel Rassismus, Unwissenheit, Geschichtsverfälschung und so weiter. Da brauchen wir also etwas, womit wir dagegen halten können, das darf alles nicht vergessen sein, was da mal war. Mir ist es zweitens ganz wichtig, die soziale Lage von Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, zu verbessern und dafür kämpfe ich ganz besonder. Und der dritte Punkt ist die Gleichstellung von Frauen im Kultur und Medien. Das sind, so glaub ich, meine Themen, für die ich am meisten kämpfe und brenne.

Wie lange bist du schon politisch aktiv?

Immer schon. Politisch aktiv war ich schon immer aber nicht parteipolitisch. Ich war eigentlich schon als Kind politisch interessiert, ich bin ja in der DDR aufgewachsenen. Ich glaube, mein nachhaltigstes politisches Erlebnis war der Putsch in Chile, da war ich 10 Jahre alt und ich erinnere mich noch genau an die Bilder im Fernsehen, das hat mich geprägt.

Gab es einen bestimmten Anlass oder eine Erfahrung in deinem Leben, die dich bewogen hat, in die Politik einzusteigen?

Das war 2015 als klar wurde, dass wir – das Deutschland – den vielen geflohenen Menschen helfen müssen, die in Ungarn am Bahnhof standen und dort nicht wegkamen. Da habe ich schon begonnen einen Kleinbus zu organisieren und wollte dorthin fahren, um die Menschen wegzuholen. Zu diesem Zeitpunkt kam die Meldung, dass Deutschland die Menschen aufnimmt, was ich eine ganz wichtige Entscheidung fand. Und dann wollte ich mich gegen diese Welle aus Rassismus und Hass stellen, der dann auch wuchs, neben aller Hilfsbereitschaft. Das war beides etwas, was mich dazu bewogen hat, in die Politik zu gehen und mich auch parteipolitisch zu engagieren.

Hast du irgendwann mal irgendwelche rassistischen Bemerkungen miterlebt?

Na klar, ich war ja auf vielen, vielen Demos gegen faschistische Gruppen. Eine Demo zum Beispiel war am 13. Februar 2014. Da wollten die Rechten durch Würzburg marschieren und eine Fackelmarsch für die Bombenopfer der Alliierten veranstalten. Es gab ein breites Bündnis gegen diesen Aufzug in Würzburg und ich war als Rednerin eingeladen. Es hat mich total gefreut, dass ich da als erste Rednerin, sozusagen als Hauptrednerin, reden durfte, weil bekannt war, dass ich mich politisch engagiere.
Ich war auf vielen Demos, habe rassitische Bemerkungen oft erlebt und ich bin auch selber mal beschimpft worden. Auch mir hat man mal gesagt, ich soll nach Hause gehen, dorthin gehen, wo ich her komme und ich meinte, ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Allerdings bin ich ja eigentlich aus dem Ausland, denn ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen, mein Vater ist Jugoslawe, ich hab einen spanischen Nachnamen und heute reicht es schon, dass man schwarze Haare und ein anderen Namen hat, dass einem gesagt wird, hier hat man nichts zu suchen. Das ist mir oft passiert.

Wie alt warst du, als du angefangen hast zu Demos zu gehen?

In der DDR gab es das so nicht, erst ab 1989. Ich hab mich in der DDR auch links engagiert, in der Opposition, weil ich einen besseren Sozialismus wollte und war dann auch auf den Demos 1989 unterwegs. Im Westen war ich zwar auch vereinzelt auf den Demos aber so richtig erst ganz bewusst als ich nach Bayern gezogen bin, weil da natürlich progressive Kräfte viel mehr gebraucht werden. In Berlin gibt es ja Viele, die für progressive Themen auf die Straße gehen. Ich hatte das Gefühl, ob ich jetzt dabei bin oder nicht, das ist nicht so wichtig. Aber in Bayern wird jede und jeder gebraucht und da ging es dann los, dass ich von Demo zu Demo bin, und zwar nicht nur zu antifaschistische Demos, sondern auch zu Umweltdemos. Auch bei Fridays for future bin ich schon häufiger mitgelaufen.

Wenn du dich noch einmal entscheiden könntest, dich politisch zu engagieren, würdest du es wieder tun?

Natürlich, ich kann gar nicht anders.

Was macht dir als Abgeordnete am meisten Freude?

Von der Fraktionsebene aus in den Plenarsaal geschaut

Zum Beispiel im Parlament zu reden, macht mir ganz viel Spaß. Aber was mir wirklich Freude macht, ist die Tatsache, dass ich als Abgeordnete in der Lage bin, ein Team zu haben, das ich gut bezahlen kann, und wir unter guten Arbeitsbedingungen miteinander arbeiten können. Ich habe früher viel freiberuflich im künstlerischen Bereich gearbeitet und alle die da unterwegs sind, sind extrem selbstausbeuterisch, man macht ganz viel und hat nie Geld. Hier bin ich in der Lage, Leute einzustellen und zu bezahlen, gut zu bezahlen, dafür, dass wir miteinander arbeiten können. Das macht mir echt Freude. Und dann macht mir natürlich Freude, wenn die Leute, für die ich hier stehe, meine Zielgruppe die Künstlerinnen und Künstler, die Leute, die antirassistisch arbeiten, die sich antifaschistisch engagieren und so weiter und sofort, wenn die sehen, dass ich mich für sie einsetze dann auch sozusagen etwas zurück kommt, das macht mir viel Freude.

Was belastet dich als Abgeordnete am meisten?

Im Paul-Löber-Haus, Blick auf das Elisabeth-Lüders Haus

Also einmal natürlich so der Hass, den man ja auch abbekommt. Man bekommt ja nicht nur Zuspruch, sondern auch Hass. Also wenn ich eine Rede im Parlament halte und gegen die AfD schieße, dann kommen hinterher die Hassmails, in denen ich beschimpft und sehr viel sexistisch beleidigt werde. Das ist nicht einfach, aber ich komme damit ganz gut klar, weil ich ein gutes Umfeld habe, das mich auch schützt, in dem man sich gegenseitig auch bestärkt. Das ist das eine. Und was mich auch belastet, ist, dass die Mehrheitsverhältnisse so sind, dass im Parlament die Opposition überall mitreden kann, aber die Entscheidung eigentlich schon fest steht. Ich würde mir da viel mehr wünschen, dass Ideen von der Opposition auch mit aufgenommen werden. Insofern bin ich eigentlich ein großer Freund von der Idee einer Minderheitsregierung, weil man dann sich die Mehrheiten holen muss für Themen und man dann mehr miteinander arbeiten muss. Andererseits sehe ich auch die Gefahr, dass dann die konservativen Kräfte sich diese Mehrheit von der AfD holen, daran habe ich natürlich kein Interesse.
Aber ich muss das gleich nochmal ein bisschen revidieren, weil grade im Kulturausschuss ist es so, dass ich da durchaus auch Impulse gesetzt habe, die dann in Endscheidungen einfließen. Da steht dann zwar nicht, das machen wir, weil es die Barrientos so gesagt hat oder gut findet, aber wenn ich sehe, dass es aufgenommen wird, dass es sozusagen eine Veränderung auch stattfindet, dann ist das natürlich auch toll.

Also diese Hassmails, kommen die dann von der AfD oder von deren Anhänger?

Das sind die Anhänger. Die schreiben da meist nicht rein „Ich bin AfD-Mitglied“, das sind ja meistens anonyme Sachen aber manchmal sagen sie auch ganz offen, dass sie Anhänger der AfD sind.

Was steht denn so in einer Hassmail?

Naja, dass ich dumm, fett, alt und hässlich bin, solche Sachen, das ist sehr beliebt, mal so ein bisschen zusammen gefasst. Oder dass ich eine blöde Kommunistin bin. Also, völlig dämlichen Sachen, aber auch Sachen, wie dass man mir wünscht, von hundert Negerhorden vergewaltig zu werden, bis ich tot bin. Und der Punkt ist, dass das Ausmaß des sexistischen Hasses gegen Frauen viel zu wenig bekannt ist. Männer kriegen auch Hassmails. Aber Frauen werden wirklich mit einer Verachtung und mit sexistischen Elementen überhäuft. Dieser Hass gegen Frauen ist ja sehr bewusst, die wollen eine kleinkriegen. Zu behaupten, dass mich das völlig kalt lässt, wäre falsch. Natürlich kriegt man mit der Zeit ein dickes Fell. Ich versuch mal, ein Beispiel zu sagen: Ich bin ja eine Frau, die sehr weiblich gewachsen ist, ich habe viel Figur, sag ich mal und wenn ich jetzt anfangen würde, mich damit nicht angreifen zu lassen, mich zu verkleiden, dann wäre ich unsicher. Das heißt, mir gibt es Sicherheit, mich nicht zu verkleiden, sondern genauso zu bleiben, wie ich bin. Mit meinen Kurven, mit meinem Ausschnitt, mit meiner Mähne und so weiter. Das ist meine Strategie, denn wenn ich mich sicher fühle in mir, dann trifft mich das nicht. Wenn ich jetzt versuchen würde, mich zu verstecken, damit ich nicht mehr angreifbar bin, würde es mich noch mehr treffen. Da muss so jede ihre Strategie finden, aber das ist meine.

Was möchtest du noch unbedingt erreichen?

Dass es wieder eine progressive Linke Mehrheit im Bundestag gibt.

Ist Abgeordnete ein Beruf wie jeder andere?

Nein, aber gibt es überhaupt Berufe wie jeder andere? Jeder Beruf hat so seine Besonderheiten. Also ich muss schon sagen, dass ich stolz drauf bin, das geschafft zu haben, weil das nicht selbstverständlich ist und ich versuche mir zu bewahren, dass das nichts selbstverständliches ist, sondern was sehr besonderes und dass ich da auch eine sehr große Verantwortung habe. Also, das ist so auf einer Seite, und auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass man im wahrsten Sinne des Wortes seine Haut zu Markte trägt. Man trägt sein Gesicht in die Öffentlichkeit, man ist keine Privatperson mehr, man ist eine öffentliche Person und das heißt, man gibt auch viel privaten Schutz auf und das sind die beiden Punkte, die es zu etwas sehr Besonderem machen.

Berlin, den 29.01.2020