In gesellschaftlichen Krisen wird besonders schmerzlich offenbar, wer als „systemrelevant“ gilt und wer nicht. Auch in der jetzigen, hoch gefährlichen Situation einer Pandemie, und der folglich richtigen Einschränkung des gesamten öffentlichen Lebens, wird diese Frage nach und nach beantwortet werden (müssen).

Heute stehen, bedingt durch die Einschnitte während der Corona-Pandemie, viele Menschen und ganze Unternehmen im Bereich der Kultur und der Kreativwirtschaft vor existenzieller Bedrohung. Sie verlieren auf einen Schlag ihre Aufträge, ihre Auftrittsmöglichkeiten und damit ihr Einkommen. Wir sagen es ganz klar: für uns ist der Bereich von Kunst und Kultur ebenso „systemrelevant“ wie andere, auch oft unterfinanzierte, politisch ausgedünnte und schlecht bezahlte Bereiche.

Existentielle Bedrohung

Betroffen sind die öffentlichen und privatwirtschaftlichen Kultureinrichtungen und der gesamte Bereich der Freien Kunst- und Kulturszene. Die entstehenden Einnahmeausfälle können weder von den Einrichtungen, noch von den Kommunen und Ländern allein kompensiert werden. Folglich sind viele Kultureinrichtungen bereits zum jetzigen Zeitpunkt von Insolvenzen und Schließungen bedroht, denn schon Einnahmeausfälle über wenige Wochen stellen für viele eine unmittelbare Existenzbedrohung dar. Freischaffende und Selbstständige im Kultur-, Film- und Medienbereich fürchten existenzgefährdende Einbußen, u.a. durch Einnahmeausfälle, Rückzahlungen von Projektförderungen, nicht zustande kommende Verträge oder wegen fehlenden Anspruchs auf Honorarfortzahlung im Krankheits- oder Quarantänefall. In dieser prekären Lage ist es darüber hinaus vielen Kulturschaffenden nicht möglich, Krankenkassen-, Pflege- und Rentenbeiträge zu zahlen.

Besonders hart trifft es in diesem Bereich die Frauen.

Auch im Kunst-, Kultur- und Kreativbereich besteht nach wie vor der Gender Pay Gap. Frauen haben oft geringere Einkünfte als ihre männlichen Kollegen und dementsprechend eine schlechtere soziale Absicherung, gerade im Alter. Den jetzt entstehenden Einnahmeausfällen können viele Frauen kaum etwas entgegensetzen, sie haben keine Rücklagen. Dies muss in der Konzeption von Hilfsmaßnahmen konkret mitgedacht und entsprechend beachtet werden.
Uns ist bewusst: gibt es während dieser Pandemie und auch danach keine Hilfen für Kulturschaffende und Kreative, für Soloselbständige und Freiberufler*innen und den Erhalt der kulturellen Infrastruktur, dann berauben wir uns als Gesellschaft einer fundamentalen Grundlage. Dazu sagen wir entschieden NEIN!

Kreativwirtschaft

Zusätzlich und mit Schnittmengen zum Kulturbereich hat sich die Kreativwirtschaft inzwischen als der drittstärkste Wirtschaftsbereich der Bundesrepublik Deutschland etabliert. Sie umfasst eine sehr große Bandbreite von Teilbranchen, von der freiberuflichen Musiker*in bis hin zur Gamesbranche. Ungeachtet der insgesamt starken wirtschaftlichen Bedeutung der Kreativwirtschaft, existieren gerade in diesem Bereich eine hohe Anzahl geringvergüteter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, hybride Erwerbsformen und im Vergleich mit anderen Wirtschaftsbereichen ein sehr hoher Anteil von Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmen.
Genau wie die vielen freischaffenden Künstler*innen verfügen auch viele in der Kreativwirtschaft Beschäftigte und vor allem die Solo-Selbstständigen aufgrund ihres geringen durchschnittlichen Jahreseinkommens über keinerlei finanzielle Rücklagen.

An der Seite der Menschen

Wir stellen uns an die Seite dieser Menschen und kämpfen gemeinsam mit den vielen Künstler*innen und Kreativen, den Kulturverbänden, dem Deutschen Kulturrat und der Kulturminister*innenkonferenz darum, dass auch Künstler*innen und Kreativunternehmer*innen, kleine und große Einrichtungen, öffentlich gefördert oder privatwirtschaftlich organisiert, z.B. Musikspielstätten, Kinos, Clubs, Kleinkunstbühnen und Privattheater oder Festivals, die Veranstaltungsbranche, die vielen Menschen, die auf Honorarbasis an Musikschulen, Kunstschulen oder in Gedenkstätten und Museen arbeiten und andere direkt und indirekt Betroffene sofortige, unbürokratische Hilfen erhalten. Wir setzen uns dafür ein, dass der für unsere Demokratie so wichtige Mehrwert ihrer Arbeit für unsere Gesellschaft auch und gerade in Krisenzeiten öffentlich anerkannt wird. Und zwar dauerhaft, denn auch wenn die jetzigen Schließungen und Einschränkungen im Kulturbereich aufgehoben werden, braucht die Kultur und der Erhalt ihrer Infrastruktur unsere Hilfe und Anerkennung.

„Nothilfefonds Kultur und Kreativwirtschaft“

Wir fordern daher Bund und Länder dazu auf, einen gemeinsamen „Nothilfefonds Kultur und Kreativwirtschaft“ einzurichten und aus den Mitteln des am 19.03.2020 von Bundesfinanzminister Olaf Scholz angekündigten „Solidaritätsfonds“ zu finanzieren. Der „Solidaritätsfonds“ mit einem Volumen von mindestens 40 Milliarden Euro, soll im Umfang von 10 Milliarden Euro direkte Zuschüsse an in ihrer Existenz bedrohte „Ein-Personen-Betriebe“ und Kleinstunternehmen vergeben. Hiervon muss ein relevanter Anteil dem geforderten „Nothilfefonds Kultur und Kreativwirtschaft“ zur Verfügung gestellt werden aus dem sowohl Freiberufler*innen, Soloselbständige, Künstler*innen und Künstler als auch kleinste und mittelständische Unternehmen auf unbürokratische Art nicht rückzuzahlende Hilfen für die akute Abfederung der momentanen Situation beantragen können.
Nach der Beendigung der aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, der Stilllegung des öffentlichen Raums, fordern wir Bund und Länder auf, die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens für Freischaffende zu prüfen. Das Grundeinkommen sollte für einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten gewährt werden denn auch nach der akuten Situation werden Folgehärten entstehen, die jetzt noch gar nicht abschätzbar sind.
Das Diktat der „schwarzen Null“ und die Aufrechterhaltung der Schuldenbremse ist in der aktuellen Situation nicht zu halten.

Wir fordern, dass die Zusagen von Staatsministerin Monika Grütters und die Forderungen der Kulturminister*innen vom 13.3.2020 nun schnell umgesetzt werden.

Wir fordern darüber hinaus:

  • den Verzicht auf Rückforderungen von bereits zu Projektdurchführungen verausgabter Fördermittel auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene;
  • die Auszahlung bereits bewilligter Fördermittel an die Mittelempfänger und die temporäre Flexibilisierung der Förderrichtlinien für die Verwendung von bereits ausgezahlten Fördermitteln; Konkret soll der Zuwendungszweck entfallen und die Möglichkeit der Mittelverwendungen ausgeweitet werden;
  • eine Stundung und Verschiebung von Steuervorauszahlungen;
  • eine Aussetzung der Umsatzsteuervorauszahlungen, um die Liquidität von Künstler*innen, der Unternehmen und Agenturen zu unterstützen;
  • bei den Absprachen über die Ausgestaltung der Hilfsmaßnahmen durch einen Nothilfefonds ausreichende Partizipation von Verbänden, Freier Szene und Institutionen;
  • eine anteilige Übernahme von Beiträgen zu Sozialversicherungen bzw. Reduzierung auf den Mindestsatz und ggf. Stundung der Beiträge bei Berufsverbänden und der Künstlersozialkasse;
  • die Erhöhung des Bundeszuschusses bei der Künstlersozialkasse;
  • dass die (Kommunalen) Träger von Kultureinrichtungen durch die Länder aufgefordert und unterstützt werden, den Lohn in vollem Umfang fortzuzahlen und auch freie Mitarbeiter*innen und Honorarkräfte auch während der Schließzeit der Einrichtung weiter zu bezahlen;
  • eine (anteilige) Übernahme von Mietzahlungen bei kommunalen und sonstigen Kultureinrichtungen, die ein Mietverhältnis in kommunalen oder landeseigenen Liegenschaften haben und das Zahlen von Mietbeihilfen für privatwirtschaftlich organisierte Kulturorte, denen Mietzahlungen durch die entstehenden Einnahmeausfällen nicht mehr möglich sind;
  • eine vorgezogene und vollumfängliche Auszahlung von Stipendien sowie von Preisgeldern für Künstler*innen und Kreative und im Falle nicht in Anspruch genommener Mittel für (internationale) Stipendien und Residenzen deren Umwidmung;
  • eine Anpassung des Insolvenzrechts an die bestehende Ausnahmesituation;
  • sicherzustellen, dass alle Maßnahmen der allgemeinen Wirtschaftsförderung, so zum Beispiel auch zinslose Darlehen, für die Akteur*innen der Kreativwirtschaft gleichberechtigt bereit stehen und dabei zu beachten, dass die Antragsteller*innen von Darlehen nicht in Verschuldung geraten;
  • einen temporären und schnellen erleichterten Zugang zur Grundsicherung (ALG I und ALG II) für alle im Kunst- und Kreativbereich Arbeitenden (auch geringfügig Beschäftigte und arbeitnehmerähnliche Honorarkräfte).

Als Ständige Kulturpolitische Konferenz (SKK) der Partei DIE LINKE haben wir uns immer und an jeder Stelle gegen die durch die öffentliche Hand betriebene Marginalisierung kultureller Teilhabe, gegen das Kaputtsparen von Einrichtungen, das Vergessen von Vereinen und Verbänden im ländlichen Raum, das Degradieren von Kunst und Kultur zu Einrichtungen von Wirtschaftseffizienz und gegen Kultur als bloße Geranie am Staatsfrack gewandt. Die aktuelle existenzbedrohende Lage im Kunst- und Kulturbereich zeigt uns die Defizite der bisherigen Förderpolitik deutlich auf. Die Kultureinrichtungen und Künstler*innen haben immer „am Limit“ und von der Hand in den Mund gearbeitet. Rücklagen zu bilden, war weder den einen noch anderen möglich. Ein Grund sind die viel zu gering ausgestatteten Kulturetats in Bund, Ländern und Kommunen. In der Krise liegt aber auch eine Chance: vielen Menschen wird jetzt bewusst, wie wichtig Kultur für den Zusammenhalt unsrer Gesellschaft ist. Aus diesem Erleben in der bestehenden Notsituation müssen wir Konsequenzen für die Zukunft ziehen. Denn: Für Demokratien ist Kultur immer systemrelevant!

Donnerstag, den 19.3.2020

Simone Barrientos, MdB,
Regina Kittler, MdA Berlin,
Katja Mitteldorf, MdL Thüringen,
Eva-Maria Kröger, MdL Mecklenburg-Vorpommern,
Isabelle Vandré, MdL Brandenburg,
Imke Elliesen-Kliefoth (LAG Kultur Berlin/SKK),
Magdalena Depta-Wollenhaupt (LAG Kultur Hessen)
Lisa Mangold (SKK),
Siri Keil (SKK),
Annette Mühlberg (SKK)

Pdf: SKK_Sofortprogramm Kultur_2020

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